Es
gibt sie also tatsächlich, Chinas
Liste für den weltweiten Einkaufsbummel: "Leitkatalog
von Ländern und Industrien für Übersee-Investitionen" lautet
der Titel, Strategen im chinesischen Außen-
und Handelsministerium haben das Papier formuliert.
Punkt für Punkt zählen sie darin
auf, in welchen Staaten und Branchen in
den kommenden Jahren investiert werden
soll -
ein Dokument globalen Expansionswillens,
detailgenau und hochbrisant.
Demnach haben es die Chinesen in Frankreich
unter anderem auf Hersteller von Klimaanlagen,
Staubsaugern oder Mikrowellenherden abgesehen.
In Großbritannien interessieren sie
Biomedizinfirmen, in Ungarn sind es Produzenten
von Reisekoffern, in Rumänien Fahrradfabriken,
in Tschechien ist es die Forstwirtschaft.
Auch in Deutschland haben Pekings Planer
Kaufobjekte ausgemacht: Hersteller von
Elektrogeräten
oder Arzneimitteln stehen ebenso auf dem
Wunschzettel wie Speditionen oder Handelsfirmen;
die ersten Übernahmen sind schon perfekt.
Zum Beispiel im brandenburgischen Rathenow:
Dort produzieren die 45 Mitarbeiter der
Welz Gas Cylinder GmbH Gasflaschen für Feuerlöscher,
Sodamaschinen und Zapfanlagen. Dass ihr neuer
Arbeitgeber aus China kommt, offenbart sich
allerdings nur zu besonderen Anlässen:
Am 9. Februar lädt Geschäftsführer
Jiang Zhou zum großen Neujahrsfest,
dann beginnt auch im Havelland das Jahr
des Hahns.
Jiang hatte in Heidelberg Wirtschaft studiert,
bevor er die Huapeng Trading gründete,
eine Vertriebstochter des elterlichen Konzerns
in Shanghai, wo 3300 Beschäftigte Druckgasflaschen
produzieren. Da fügte es sich gut, dass
der deutsche Marktführer in diesem Gewerbe
finanziell in Schieflage geraten war und
Jiang ihn übernehmen konnte, natürlich
mit Genehmigung der chinesischen Behörden.
Es ist ein weiterer Stein in einem weltweiten
Mosaik: Systematisch treibt die Pekinger
Zentralregierung die Expansion der heimischen
Wirtschaft voran. Im Ausland zu investieren,
preist sie als patriotische Tat: "Zou Chu
Qu" lautet die Parole, zu Deutsch etwa: "Schwärmt
aus."
Unternehmen wie der Computerhersteller
Lenovo, der Fernsehgerätebauer TCL oder der
Autobauer Shanghai Automotive (SAIC) scannen
Land für Land nach vielversprechenden Übernahmekandidaten
ab und kaufen sich mit Milliarden in die
westlichen Märkte ein. Bislang beschränkte
sich ihre Rolle darauf, andere Konzerne zu
beliefern: mit billiger Ware von zuverlässiger
Qualität. Nun wollen sie selbst das
große Geschäft machen.
Lenovo hat sich mit der Übernahme der
IBM-PC-Sparte zum drittgrößten
Computerhersteller katapultiert. TCL ist
nach dem Einstieg bei Thomson die Nummer
eins unter den TV-Geräteproduzenten.
Und SAIC hat sich an Daewoo beteiligt, Ssangyong übernommen
und zuletzt auch MG Rover einverleibt: Bis
2010 will der Konzern zu den Top-Autobauern
gehören.
Größer, mächtiger, wichtiger:
Läuft alles wie von den roten Kapitalisten
geplant, werden die Konzerne in zehn Jahren
Weltmarken sein, ähnlich klangvoll wie
Microsoft, Siemens oder Toyota. Dann sollen
50 der 500 größten Konzerne aus
China kommen, außerdem werden bis dahin,
so der Plan, 500 mittlere und 5000 kleinere
chinesische Multis aufgebaut. "Wir befinden
uns im frühen Stadium einer wahrscheinlich
gewaltigen Entwicklung", erwartet Fred Hu,
Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman
Sachs in Hongkong. "Wir werden noch viel
mehr solcher Beispiele sehen."
Geld für den globalen Einkauf haben
die Chinesen genug. Weil die Volksrepublik
seit Jahren mehr Waren exportiert als importiert,
sind die Währungsreserven auf mehr als
500 Milliarden Dollar angewachsen, einen
Teil davon will Peking zum Aufbau seiner
Konzerne nutzen - und mit der Kapitalanlage
auch ein wenig Druck von seiner überbewerteten
Währung nehmen.
Die Kauflust der Chinesen eröffnet Bankern
wie Beratern ein neues Geschäftsfeld,
sie vermitteln Übernahmekandidaten. "Die
Zahl der Anfragen steigt enorm", sagt Ludwig
Schmucker von der Hamburger Privatbank Berenberg.
Gegenwärtig ist er für einen chinesischen
Mandanten auf der Suche nach einem Mittelständler
in der deutschen Pharmaindustrie. Gerade
Familienbetrieben mit Nachfolgeproblemen,
so Schmucker, böte der Verkauf an
Chinesen eine neue Option.
Schon einmal haben Europäer und Amerikaner
erlebt, wie ein asiatisches Land, ausgestattet
mit gewaltigen Dollar-Reserven, auf Eroberungstour
gezogen ist. In den achtziger Jahren kauften
Japaner fast alles auf, was ihnen gefiel:
Filmstudios, Unternehmensanteile, Luxusimmobilien.
Selbst das Rockefeller Center in Manhattan
fiel in japanische Hände, was mächtig
am Selbstbewusstsein der Amerikaner kratzte.
Nun heißt es also: "Die Chinesen kommen" -
und mancher mag den Vormarsch aus Fernost
erneut argwöhnisch beobachten und sich
fragen: Flattern bald die roten Fahnen vor
den Wolkenkratzern in New York? Oder ist
der chinesische Aufbruch in die Welt, wie
einst der japanische, nur ein vorübergehendes
Phänomen?
"Kurzfristig werden mehr Misserfolge als
Erfolge bei der Internationalisierung chinesischer
Unternehmen zu verzeichnen sein", erwartet
Sönke Bästlein, China-Spezialist
bei der Beratungsgesellschaft McKinsey. Auf
Dauer aber würden die Chinesen schon
auf Grund ihrer Kostenvorteile eine immer
größere Rolle spielen.
Seit Jahren stehen jedenfalls alle Zeichen
auf Expansion. Im Jahr 2000 haben die Chinesen
für gerade mal 344 Millionen Dollar
im Ausland eingekauft. 2005 soll das Volumen
nach Schätzung der Analysten von Straszheim
Global Advisors auf 14 Milliarden Dollar
anschwellen.
Vor allem der Hunger nach Rohstoffen treibt
Chinas Unternehmen auf die Weltmärkte:
Stahl und Eisenerz, Koks und Rohöl sind
knapp und teuer. "Hier ist der Bedarf am
größten", sagt Investmentbanker
Hu. Energiekonzerne wie China National Petroleum
(CNPC) oder Sinopec setzen ein Vermögen
ein, um in Kasachstan, Indonesien oder Algerien
Zugriff auf Öl- und Gasfelder zu bekommen.
Allein im Sudan hat CNPC gut 2,7 Milliarden
Dollar investiert.
Gleichzeitig expandieren chinesische Firmen,
um sich neue Absatzmärkte zu erschließen.
Im eigenen Land sind sie längst Marktführer,
wachsen kann ein Computerhersteller wie Lenovo
nur noch jenseits der Grenzen. Die billige
Produktion der Chinesen verbunden mit dem
gewaltigen Vertriebsnetz von IBM: Das ist
die Verheißung des transpazifischen
Deals.
Zudem dürfen die Chinesen den Namen "IBM" fünf
Jahre für ihre Computer nutzen, auch
deshalb war Lenovo-Chef Liu Chuanzhi bereit,
umgerechnet 1,3 Milliarden Euro zu zahlen.
Mit dem Kauf bekannter Marken, so das Kalkül
der Chinesen, verschaffen sich die Konzerne
auf einen Schlag globale Präsenz.
So hat sich der TV-Gerätehersteller
TCL einen ganzen Strauß von Marken
zugelegt, die jeweils in ihrer Region für
Unterhaltungselektronik stehen: Thomson
in Frankreich, Schneider in Deutschland,
RCA
in den Vereinigten Staaten.
Und noch etwas wollen die Chinesen im Ausland
erwerben: das nötige Know-how. Wenn
SAIC die ehemalige BMW-Tochter MG Rover übernimmt,
dann auch deswegen, weil die Chinesen damit
ihrem Ziel näher kommen, ein Auto komplett
selbst zu entwickeln; schließlich
sind die aktuellen Rover-Modelle noch das
Ergebnis
bayerischer Ingenieurskunst.
Den Zugang zu Rohstoffen, zu Absatzmärkten,
zu Marken und zu Technologie: Der Zehn-Jahres-Expansionsplan
ist wohldurchdacht - aber er ist eben nur
ein Plan. Die Praxis sieht oft anders aus,
die deutschen Erfahrungen mit chinesischen
Geldgebern sprechen Bände.
Schon der erste Versuch im Herbst 1997,
als Chinesen in eine Bleistiftfabrik in
Mecklenburg-Vorpommern
investierten, ging gründlich daneben:
Nach einem halben Jahr wurde das Werk geschlossen,
da halfen selbst staatliche Millionenhilfen
nichts.
Auch beim Allgäuer TV-Gerätehersteller
Schneider wurden die Erwartungen enttäuscht,
die mit dem Einstieg von TCL verbunden waren.
Nur noch 60 Beschäftigte sind am Stammsitz
in Türkheim übrig, gerade wurde
dort die Gerätefertigung abgewickelt
und nach Ungarn verlagert. "Wir hatten wirklich
gedacht, dass wir die Produktion halten könnten",
versichert Personalchef Kenneth Xiaoping
Zhang.
Solche Fehler unterlaufen chinesischen
Investoren immer wieder, vielfach fehlt
es an der nötigen
Marktkenntnis: Sie unterschätzen behördliche
Auflagen etwa im Umweltschutz, sie kaufen
Marken wie Schneider, deren Glanz längst
ermattet ist. Überhaupt investieren
sie vorzugsweise in Branchen, die ihren Zenit überschritten
haben. Und sie setzen zuweilen Statthalter
ein, die kaum ein Wort Deutsch sprechen.
"Die Chinesen begehen dieselben Fehler wie
die Deutschen vor 20 Jahren in China", sagt
der Münchner Unternehmensberater Engelbert
Boos: "Sie wählen den falschen Standort,
die falsche Rechtsform, das falsche Produkt,
die falschen Partner."
Als besonders folgenschwer hat sich die
Neigung der Chinesen erwiesen, am liebsten
angeschlagene
Betriebe zu kaufen, häufig mit klangvollem
Namen, die tief in finanziellen Schwierigkeiten
stecken. "Die Chinesen sind bisher oft als
Schnäppchenjäger aufgetreten",
sagt Berenberg-Berater Schmucker. Doch wenn
es ans Sanieren ging, unterschätzten
sie den Aufwand.
So endete etwa das Engagement des chinesischen
Mischkonzerns D'Long beim Flugzeugbauer
Fairchild Dornier in einem Debakel. Wie
Erlöser
waren die neuen Herren gefeiert worden, als
sie im Sommer 2003 in das notleidende Traditionsunternehmen
eingestiegen sind. Dass sie keinerlei Expertise
im Flugzeugbau vorweisen konnten, störte
in dem Moment kaum jemanden, Hauptsache,
es ging irgendwie weiter in Oberpfaffenhofen
- bis die Chinesen selbst Insolvenz anmelden
mussten.
Kein Wunder also, dass chinesischen Investoren
nicht der beste Ruf vorauseilt. Sie seien
nur am Ausschlachten interessiert, wird
allenthalben unterstellt, und nicht am
Aufbau. Anwälte
wie Bernd-Uwe Stucken vom Shanghaier Büro
der Kanzlei Haarmann Hemmelrath, bekommen
dies zu spüren, wenn sie im Auftrag
von Chinesen bei deutschen Insolvenzverwaltern
anrufen. Häufig würden sie abgebügelt
mit dem Hinweis, man werde "einen Ausverkauf
Deutschlands nicht zulassen", sagt Stucken.
In diesen Tagen geht auch in Bielefeld
die Angst um, den Nähmaschinenspezialisten
Dürkopp Adler könne ein solches
Schicksal ereilen. Ende Oktober hatte der
bisherige Eigentümer FAG Kugelfischer
den Verlustbringer an die Shanggong-Gruppe
verkauft, der Vertrag enthält keine
Klauseln zur Beschäftigungssicherung.
Gewiss sehe er die Gefahr, dass die Firma
ausgeschlachtet werden könnte, räumt
Betriebsrat Werner Horst ein: "Die Chinesen
brauchen unser Know-how." Zum Verkauf gebe
es aber keine Alternative: "Wir müssen
es als Chance betrachten."
Bisweilen sind es auch handfeste Vorurteile,
die die Kooperation zwischen Chinesen und
Deutschen erschweren. "Am Anfang gab es erhebliche
Berührungsängste", sagt Helmut
Panitz, Chef der Firma Lutz in Neuhaus am
Inn, einem Spezialisten für Trennmaschinen,
der vor einem Jahr von der Shanghaier Firmengruppe
ZQ Tools gekauft wurde. Sein Beispiel: Bei
einem Besuch in Neuhaus wollte sich der ZQ-Präsident,
ein passionierter Hundezüchter, einen
Schäferhund besorgen, doch die Verkäuferin
wollte das Tier nicht hergeben: Sie fürchtete,
es werde verspeist. "Meine wichtigste Aufgabe
ist es, Ängste zu nehmen", sagt Panitz.
Ansonsten aber funktioniere die Zusammenarbeit
mit der Muttergesellschaft tadellos. Vor
dem Werk flattern Seit an Seit die deutsche
und die chinesische Fahne, im vorigen Sommer
wurde dem ZQ-Chef vom Passauer Landrat
sogar der Ehrentitel "Botschafter Niederbayerns" verliehen.
Auch beim Maschinenbauer Schiess ist man
voll des Lobes über die neuen Besitzer
aus Shenyang. "Ich habe lange nach dem Haar
in der Suppe gesucht", sagt René Nitsche,
Chef des Ascherslebener Unternehmens, "aber
bisher habe ich keines gefunden." Er genieße
volle Handlungsfreiheit, sagt Nitsche,
nur ab und zu schaue mal jemand aus China
vorbei.
So scheint sich ein neuer Stil durchzusetzen,
wenn Chinesen ausländische Firmen aufkaufen.
Dass die Übernahme auf die ruppige
Art nicht funktioniert, hat sich wohl bis
zu
den Pekinger Strategen herumgesprochen.
Und ebenso die Erkenntnis, dass es mehr
Erfolg
verspricht, die Expertise einheimischer
Manager zu nutzen.
Dazu passt, dass expandierende Konzerne
in China immer häufiger Top-Kräfte
von Westunternehmen abwerben. Sie sind gut
vernetzt und können bestens beurteilen,
wo es sich lohnt zuzugreifen.
Jörg Buchholz etwa war verantwortlich
für das China-Geschäft des Autozulieferers
Magna Steyr, bis ihm der Chefposten bei Sinoc
Automotive angeboten wurde, einem jungen
Pekinger Autozulieferer. Zu seinen Aufgaben
gehört auch, europäische Mittelständler
ausfindig zu machen, die zu Sinoc passen: "Wir
haben schon erste Gespräche geführt",
sagt Buchholz.
Sein Boss Sompo Zhou, 37, hat innerhalb
weniger Jahren ein Firmenimperium aufgebaut,
die
Zhou Dynasty International Group, Umsatz
2003: rund 240 Millionen Dollar. Deutschland
gehört sein besonderes Augenmerk, hier
hat Zhou Betriebswirtschaft studiert. Seine
Dissertation lässt ahnen, dass er noch
einiges vorhat: Darin geht es um die Übertragbarkeit
chinesischer Militärstrategien auf die
Unternehmensführung.